Farinas Weg nach der MS-Diagnose: Von Liebeskummer zur Selbstfindung und warum ich der Krankheit sogar dankbar bin

Veröffentlicht
Oct 19, 2023

2010: Mein erster MS Schub. Eine Sehnerventzündung, Kortison, keine Diagnose.

Zu meiner Vorgeschichte ist zu sagen, dass ich von Geburt an eine Behinderung habe, durch welche ich auf den Rollstuhl angewiesen bin. Durch meine Vorerkrankung wurde die Diagnosestellung noch erschwert. Ich weiß nicht, ob es an dem Fakt lag, dass ich bereits eine Behinderung hatte und im Rollstuhl saß. Insgesamt hatte ich 23 Jahre meines Lebens quasi Erfahrung damit. Es könnte auch sein, dass ich einfach zu sehr mit meinem damaligen Leben beschäftigt war, sprich Arbeit, Feiern, Freunde und Beziehung. Deshalb ging ich vielleicht so 'sorglos' mit von Ärzten gemurmelten Verdachtsdiagnosen und dem Fakt um, dass ich vollgepumpt mit Kortison im Krankenhaus lag. Letztendlich ließ Kortison alle Symptome verschwinden und ich lebte mein Leben weiter, ohne weiter über das Geschehene nachzudenken.

2012: Der nächste Schub, der Preis für den unempathischsten Oberarzt geht an meinen damaligen im hiesigen Klinikum, die Diagnosestellung.

Ich, mittlerweile 25 Jahre alt, immer noch völlig unbedarft und betont ignorant meinem Körper gegenüber. Ich steckte in einer Trennung und hatte keine Zeit für irgendwelche Diagnosen, die mir noch mehr Energie raubten, als es der Liebeskummer ohnehin schon tat.
Heute, 11 Jahre später, weiß ich, dass es mein Weg und mein erster Umgang war - und das auch völlig okay ist. Jede MS ist individuell (”die Krankheit der 1000 Gesichter”) und genauso individuell ist der Weg von jeder*m Einzelnen. Bedeutete die Diagnose Multiple Sklerose trotz aller Ignoranz und Ablenkung auch einen Einschnitt und einen anfänglichen Schock für mich? Definitiv. Besagter Oberarzt klatschte mir die Diagnose an den Kopf, ich völlig perplex und natürlich in diesem Moment völlig allein auf weiter Flur.
Farinas holpriger Beginn auf ihrer MS-Reise hat sich gewandelt – nun sieht sie die Diagnose als Quelle von Mut und neuen Möglichkeiten.
Farinas holpriger Beginn auf ihrer MS-Reise hat sich gewandelt – nun sieht sie die Diagnose als Quelle von Mut und neuen Möglichkeiten.
Ich bekam nach dem Krankenhausaufenthalt eine MS Nurse (eine Krankenschwester, die zu mir nachhause kam, um mit mir meine Medikamentengabe zu besprechen und mir auch mit der anfänglichen Krankheitsbewältigung half) zur Seite gestellt. Diese Frau war Gold wert. Sie half mir, den Mut zu fassen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich begann Bücher von u.a. Betroffenen zu lesen, im Internet zu recherchieren und online über Social Media Kontakte zu Betroffenen zu knüpfen. Letztendlich war es der Anstoß für viele gute Dinge in meinem heutigen Leben.

2015: Der Anstoß hatte zur Folge, dass ich mich in Therapie begab.

Denn auch wenn es mir mit dem Austausch sehr gut ging, es wollten ein paar wichtige Dinge in meinem Leben bearbeitet und angeschaut werden. Ich wollte besser mit mir und meinem Körper in Kontakt kommen. Die MS bedeutete für mich damals ein komplett anderes Körpergefühl zu entwickeln und ich war an einem Punkt, an dem ich dieses Gefühl neu ordnen wollte und einfach Input von „Unbeteiligten“ brauchte, die meine Situation neutral betrachteten.
In dieser Zeit entdeckte ich Dinge wie Schwimmen, Meditation, gewisse Yoga-Praktiken und begann mit den Jahren auf Instagram in kleinen Schritten meine Geschichte zu erzählen. Mit Betroffenen und nicht Betroffenen gleichermaßen und durfte die Erfahrung machen, dass nicht nur ich davon profitierte. Meine eigentliche Intention war es, mehr zu mir und meinem Umgang mit der Krankheit zu finden. Dass ich damit aber auch andere Menschen erreiche, das konnte ich mir damals noch nicht vorstellen.
“Ich möchte, mit meiner Erfahrung, meinem Lebensweg anderen Mut machen und sagen: Eine Diagnose ist nicht das Ende, sondern der Anfang.”
Durch das Teilen meiner Geschichte, meiner Erfahrungen, bekam ich Rückmeldungen, dass ich anderen half, Mut und Hoffnung zu schöpfen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und manchmal sogar die Krankheitsbewältigung positiv zu beeinflussen. Ich hatte etwas gefunden, was mir liegt und was mich glücklich macht. Die Verbindung zu Menschen und ihnen einen gewissen „Mehrwert“ zu bieten.
Die Zeit verging, ich arbeitete weiter an mir, kam im Job weiterhin ganz gut zurecht, das Leben lief so vor sich hin.

2022: Ich kam zu aMStart.

Durch Zufall entdeckte ich auf Instagram das Profil von aMStart und wurde neugierig. Ich fand heraus, dass es dort auch Betroffene gab, die für Neudiagnostizierte einen „angenehmeren Start“ ins Multiple Sklerose Universum schaffen wollten.
Es stellte sich heraus, dass wir ähnliche Erfahrungen bei der Diagnosestellung machten und viele von uns erstmal vor einem riesigen Berg aus Fragezeichen standen. Meine Diagnosestellung war, wie erwähnt, alles andere als angenehm und das möchte ich jetzt und in Zukunft für Neudiagnostizierte anders ermöglichen. Ich möchte, mit meiner Erfahrung, meinem Lebensweg anderen Mut machen und sagen: Eine Diagnose ist nicht das Ende, sondern der Anfang.
Manchmal ein holpriger und auch schmerzhafter Anfang, aber es lohnt sich, nicht aufzugeben. Manchmal ruckelt das Leben und schüttelt dich kräftig durch, aber es kann immer ein neuer Blickwinkel entstehen und Chancen auf neue Dinge.
💡
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von Farina Ladwig