Der unerwartete Neuanfang: Reginas Reise mit der Diagnose Multiple Sklerose

Veröffentlicht
Oct 19, 2023

Mit diesem Bericht über meinen Weg mit Multiple Sklerose möchte ich Dir helfen, Deinen Weg zu finden.

Die Diagnose steht fest

Als ich im Jahr 2014 die Diagnose Multiple Sklerose bekam, war ich erstmal geschockt, dann aber auch irgendwie erleichtert. Endlich gab es eine Erklärung, eine Ursache für die Symptome, die ich seit Jahren hatte. Gerade am Anfang führte dies zu einem Wechselbad der Gefühle. Die Stimmung ging rauf und runter wie in der Achterbahn.
Ich wusste, mein Leben wird nie mehr so, wie es mal war. Aber was sollte ich jetzt machen? Gab es eine annehmbare Lösung? Ja, die gab es wirklich, und auch Du wirst bestimmt eine finden. Eine, die nur für Dich passt. Über gut gemeinte Ratschläge - auch über meine - kannst Du nachdenken, aber die MS ist individuell und Vergleiche helfen nur bedingt.

Die ärztliche Behandlung

Ich wollte mitbestimmen, auch bei der Auswahl der Medikamente. Sie sollten soweit es nur ging zu meinem Lebensstil passen. Ich habe zusammen mit meiner Ärztin drei Medikamente besprochen, die für mich in Frage kamen. Zuhause habe ich mir dann folgende Fragen gestellt:
  • Überwiegen die Nebenwirkungen vielleicht den Nutzen?
  • Was ist mit meinem Alltag und Beruf vereinbar?
  • Welche Applikationsformen (Tabletten, Spritzen, Infusionen) kommen für mich in Frage?
  • Möchte ich jetzt oder später vielleicht Kinder haben?
Ich habe dann eine Pro-und-Kontra-Liste geschrieben, die mir sehr bei der Entscheidung geholfen hat. Vergiss nicht: Du lebst mit der Multiplen Sklerose und den Nebenwirkungen der Therapie, nicht Dein Arzt oder Deine Ärztin. Daher ist es wichtig, dass ihr gemeinsam eine Lösung findet. Trau Dich, nachzufragen und auch nein zu sagen.

Du willst plötzlich alles über MS wissen?

Meine Ärztin hatte leider nicht genug Zeit, mir alles zu erklären. Da kam dann das Internet ins Spiel. Schon 1985 hat der Leiter einer Bibliothek geschrieben: „Wir ertrinken in einer Informationsflut und hungern trotzdem nach Wissen.“ Genau das traf nach meiner Diagnose auf mich zu. Ich habe viel Unseriöses gelesen. Pass auf, wo Du Dir Deine Informationen herholst, und glaube nicht alles, was Du liest und hörst. Wie aber findest Du seriöse Informationsquellen im Internet? Worauf solltest Du achten? Die folgenden Fragen können Dir helfen:
  • Ist eine Meinung nur aus der Luft gegriffen oder mit Quellen belegt und begründet?
  • Wer hat das geschrieben? Laien oder Fachleute?
  • Ist es ein überprüfter Fachartikel von einer vertrauenswürdigen Institution, z. B. von einer Universität?
  • Enthält der Artikel größtenteils versteckte Schleichwerbung zur eigenen Bereicherung?
Wenn Du kritisch denkst, kannst Du jetzt schon vieles wegsortieren. Das habe ich leider erst später gelernt.

Austausch mit anderen MS-Erkrankten

Zum Zeitpunkt meiner Diagnose gab es nur wenig Möglichkeiten, sich mit anderen MS-Erkrankten auszutauschen. Ich landete zunächst in einer destruktiven Facebook-Gruppe. Die vielen negativen Beiträge und herabsetzenden Kommentare endeten oft in einem Battle, wem es am schlechtesten ging. Da bin ich nach nur drei Stunden wieder ausgetreten.
Suche dir eine Gruppe, in der man sich gegenseitig unterstützt. Du willst Dich doch nicht runterziehen lassen. Mir hat der Austausch mit anderen Betroffenen sehr gutgetan und Dir wird es sicher auch besser gehen. Du kannst da mit Menschen sprechen, die Deine Symptome nachempfinden können und Dich besser verstehen. Hier mal zwei Tipps:
  • Buche ein Einzelgespräch mit jemand von uns bei aMStart. Wir können uns in Deine Lage hineinversetzen und Du stößt auf Verständnis und Empathie.
  • Ich bin heute gern auf Instagram unterwegs. Da habe ich eine Community gefunden mit vielen Accounts, die gute Aufklärung betreiben. Aber sei auch hier kritisch.

Umgang und Austausch mit Nicht-Betroffenen

Vor der Diagnose habe ich versucht, vieles zu verharmlosen oder zu verheimlichen. So jung wie ich war, würde sowieso niemand verstehen, dass ich so oft müde und verwirrt war und plötzlich schlechter sehen oder gehen konnte. Dadurch habe ich mich in Widersprüche verstrickt, die im Nachhinein alles noch schlimmer gemacht haben.
Nach der Diagnose bin ich sofort offen mit meiner MS umgegangen, obwohl ich sie noch gar nicht richtig verarbeitet hatte. Auch Nicht-Betroffene verstanden mich plötzlich besser und ich konnte wertvolle Aufklärungsarbeit leisten. Das war ein echter Neuanfang, ein unerwartet positives Ergebnis der MS.
Es fiel mir aber immer noch schwer, Hilfe anzunehmen. Ich fühlte mich in die Enge getrieben. Es kam mir so vor, als ob sogar Leute die mir nahestanden mich bevormunden wollten. Kennst Du auch dieses Gefühl?
Ich hatte lange daran zu knabbern, diese Haltung aufzugeben. Gleichzeitig musste ich lernen, sinnvolle Grenzen zu setzen. Ich hoffe, Du durchläufst diesen Prozess schneller als ich. Stoppe Besserwisser, die Dich zu etwas drängen wollen, lass Dir lieber von einfühlsamen Menschen helfen.

Auf den Körper hören oder nicht?

“So eigenartig es klingt: Manchmal bin der MS sogar dankbar, denn ich lebe heute bewusster.”
Die MS ist unberechenbar. Du kannst nie wissen, was sie für Dich bereithält. Mit dieser Ungewissheit umzugehen, ist nicht leicht, aber Du wirst Dich daran gewöhnen und eigene Strategien entwickeln. Stell Dir vor, Du bist zu einer Party eingeladen und freust Dich darauf. Doch dann ist sie plötzlich da, die Fatigue. Früher habe ich mich gezwungen, schlapp und müde da hinzugehen, heute höre ich auf meinen Körper und bleibe zuhause.
Stell Dir auch das Gegenteil vor: Du fühlst Dich zu müde, um ins Fitnessstudio zu gehen, obwohl Du weißt, es tut Dir gut. Früher bin ich zuhause geblieben, heute gehe ich meistens hin und komme stolz zurück. Auch wenn Du beides genau umgekehrt machst, ist das eben für Dich richtig. Es ist Dein eigener Neustart mit MS.
Nach der Diagnose habe ich vieles in meinem Leben geändert. So eigenartig es klingt: Manchmal bin der MS sogar dankbar, denn ich lebe heute bewusster. Nichts ist mehr selbstverständlich und ich kann mich jetzt über Kleinigkeiten freuen.

Mit frischer Diagnose schon positiv in die Zukunft blicken?

Das konnte ich nicht. Ich habe mir nur Sorgen gemacht. Was wird aus meiner Arbeit? Wird mich mein Partner verlassen? Ich musste erst aus dem schwarzen Loch rauskommen. Dabei haben mir Erlebnisberichte von Menschen geholfen, die schon länger MS hatten und auf ihrem Weg kleine und große Erfolge errungen haben. Deshalb erzähle ich zum Abschluss ein Erfolgserlebnis von mir:
In irgendeinem Gespräch fiel das Wort Wandermarathon. Ich liebe Herausforderungen und habe spontan gesagt: „Das möchte ich mal ausprobieren.“ Die Leute am Tisch haben mich für verrückt erklärt und meinten: „Das ist eine Schnapsidee.“ Das hat mich nur noch mehr angespornt. Ich wollte meine Grenzen testen und das Gegenteil beweisen. Ich bin dann einfach losgegangen. Am Ende waren es 40 km und ich war überglücklich. Mit MS habe ich mehr geschafft als ohne und so wurde aus der Schnapsidee ein neues Hobby. Heute liebe ich Wandern, früher war ich dazu viel zu faul.
Auch Du wirst nach dem Neustart Erfolge haben, die Du heute nicht für möglich hältst. Da bin ich mir sicher.
 
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von Regina Rikowski