MS und mentale Gesundheit: Oder wie ich lernte, Hilfe anzunehmen

Veröffentlicht
Dec 20, 2023

Erfahre hier, wie Farina überwunden hat, nach Hilfe zu suchen, und welche Bewältigungsstrategien sie in ihrer Therapie entwickelte – von der Achtsamkeit für die eigenen Bedürfnisse bis zur Erkenntnis, dass Selbstmitgefühl der Schlüssel zur inneren Stärke ist.

Rückblickend habe ich schon in der Kindheit Erfahrungen mit Depressionen gemacht. Von Geburt an - durch meine Grunderkrankung - war ich immer wieder auf Ärtz*innen angewiesen und somit auch leider immer wieder „Medical Gaslighting“ ausgesetzt.
Google sagt: „Medizinisches Gaslighting beschreibt ein Verhalten, bei dem ein Arzt oder eine andere medizinische Fachkraft die körperlichen Symptome eines Patienten abtut oder herunterspielt oder sie auf etwas anderes, beispielsweise eine psychische Erkrankung, zurückführt.“
Dazu kam, dass ich mit 8 oder 9 Jahren in die Pubertät kam und mich dadurch noch mehr als „Sonderling“ fühlte und mich immer mehr in mich zurückzog. Als ich 2012 die MS-Diagnose bekam, beeinflusste mich das zunächst nicht so sehr. (siehe meinen Beitrag: Von Liebeskummer zur Selbstfindung und warum ich der Krankheit sogar dankbar bin”)
Ich war es ja quasi schon gewohnt behindert zu sein. „Ja, dann hab ich halt ne Diagnose mehr, was soll’s.“ So dachte ich. Außerdem war ich Meisterin darin, die Dinge mit mir selbst auszumachen. So wars schon immer – so kam ich klar.
Dass das ein Irrtum sein sollte zeigte sich 2015, also 3 Jahre nach meiner Diagnosestellung.

Alles schien gut zu laufen…

Ich stand im Berufsleben, hatte eine Beziehung, die gut lief und ansonsten war doch auch alles gut. Oder? Ich konnte mich bewusst nicht beschweren. Und das war das Stichwort: „Bewusst-sein“. Ich war mir damals vieler Dinge nicht bewusst, bzw. schob ich sie „bewusst“ von mir und zog weiter durch. So wie immer, so läuft das doch. Einfach funktionieren.
Genau hinhören, hinsehen, mich und meine Bedürfnisse wahrnehmen – das sollte ich noch lernen.

Wie frage ich nach Hilfe?!

2015: Ich befand mich, für mich gefühlt, plötzlich, in einem tiefen Loch. Ein Loch aus welchem ich drohte nicht mehr herauszukommen. Jedenfalls nicht ohne Hilfe von außen. Aber wie frage ich nach Hilfe? Wen soll ich fragen? Ich war es doch nicht gewohnt, offen nach Hilfe zu fragen.
Zu diesem Zeitpunkt ging es mir allerdings psychisch und physisch so schlecht, dass ich für mich nur zwei Optionen sah: „Abwarten und hoffen, dass es vorübergeht.“ Oder „Aktiv nach Hilfe suchen und lernen mit allem umzugehen.“
Ich entschied mich für Variante zwei – zum Glück.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und kontaktierte eine Praxis für Psychotherapie und hatte wirklich Glück. Ein paar Wochen später hatte ich bereits meinen ersten Gesprächstermin.
Mein erstes Learning daraus? Ich bin wichtig und bin es mir wert. Ich darf nach Hilfe fragen, meine damalig empfundene Schwäche wurde zur Stärke. Offen zu kommunizieren: „Ich brauche Hilfe – ich schaffe das momentan nicht mehr allein.“

Wie mir die Psychotherapie geholfen hat

Die Therapie ging für mich 4 Jahre, in denen ich nicht nur meine Ressourcen entdeckte, sondern auch Strategien im Alltag erlernte, mit allem gut klar zu kommen. So lernte ich z.B. Emotionen zu erkennen, auseinander zu halten und sie zu äußern. Das veränderte schon viel für mich.
Strategien sind für mich heute auf jeden Fall:
  • Dinge zu äußern (wenn auch heute nicht immer leicht für mich)
  • Gespräche suchen
  • Dinge zu Papier zu bringen (hilft mir beim Überblick auf Emotionen und Situationen)
“Ich durfte lernen, dass ich mir selbst eine Insel sein kann, ich bei mir selbst zur Ruhe kommen kann. Dabei helfen mir Meditation und Entspannungsübungen.”

Sich immer wieder den eigenen Ängsten stellen

Ich lerne auch heute immer wieder dazu und frische momentan auch alles etwas in einer weiteren Therapie auf. Stelle mich immer wieder Themen, die auch in Zukunft eine Rolle spielen werden - und auch dürfen. Ich stelle mich immer wieder meinen Ängsten, setze mich jeden Tag aufs Neue mit mir auseinander.
Sehr wichtig war für mich: Sei nachsichtig mit dir. Sei nicht immer so hart zu dir selbst.
Für mich macht es mittlerweile einen großen Unterschied, wie ich mit mir selbst spreche. Früher war ich alles andere als nachsichtig. Eher war ich sehr gemein zu mir selbst und so gar nicht liebevoll.
Ich möchte Dir mitgeben: Wir sind nicht da, um zu funktionieren und später dann die vielen Scherben wieder zusammenzukehren. Oft sind es ja sogar Scherben, die wir selbst nicht mal verschuldet haben. In erster Linie leisten wir für uns selbst schon genug und müssen niemandem gefallen oder für irgendwen irgendwo reinpassen.
Du bist genug – Wir sind genug – Mit MS. Immer.
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Von Farina Ladwig