Umgang mit Ängsten bei einem schlechten MS-Verlauf: Wann sind sie berechtigt?

Veröffentlicht
Nov 20, 2023
Die Diagnose Multiple Sklerose (MS) kann zweifellos eine Achterbahnfahrt an Emotionen auslösen. Es ist völlig normal, Ängste und Sorgen zu empfinden, insbesondere wenn es um die Sorge eines schlechten MS-Verlaufs geht – du bist damit nicht allein. Jeder Mensch wird von Ängsten begleitet, nur gehen sie unterschiedlich mit ihnen um.
“Früher war es klassisch der Rollstuhl. Später eher meine kognitiven Fähigkeiten und deshalb bin ich so froh, engmaschig und sehr genau untersucht zu werden und auch mit meiner App einen regelmäßigen Überblick zu haben. Das beruhigt mich sehr.” (Nele)

Die Angst vor einem schlechten Verlauf

Die Angst vor einem schlechten MS Verlauf ist verständlich. Niemand möchte mit schwerwiegenden, lebensverändernden Symptomen konfrontiert sein. Diese Ängste können sich auf verschiedene Weisen äußern, von ständiger Sorge bis hin zu konkreten Furchtgedanken. Die ständige Sorge kann das alltägliche stark Leben beeinflussen und die Lebensqualität beeinträchtigen. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Ängste keine Seltenheit sind und keineswegs ein Zeichen von Schwäche.
Der richtige Umgang mit Ängsten ist wichtig und sollte aktiv angegangen werden. Dabei ist es wichtig, die Ängste nicht zu ignorieren, sondern sich aktiv mit ihnen auseinandersetzen. Dabei helfen Informationsbeschaffung, Kommunikation mit den behandelnden Ärzt*innen, Lebensstiloptimierung und Unterstützung durch Freunde und Familie, aber auch psychologische Hilfe.

Wissen ist Macht – Nutze sie

Wissen ist ein mächtiges Werkzeug, um Ängste zu bewältigen. Je mehr du über MS und ihren Verlauf erfährst, desto besser kannst du die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs einschätzen. Informiere dich bei deinen Ärzt*innen, sie können dich dabei unterstützen, deine individuelle Situation zu bewerten und realistische Erwartungen zu entwickeln. Gemeinsam könnt ihr einen Plan entwickeln, der zu dir und deinen Bedürfnissen passt. Bereite dich gut auf diese Gespräche vor und mache dir im Vorfeld bereits Gedanken darüber, was du fragen möchtest. Schreibe die Fragen auf, sodass du dich im Gespräch an ihnen orientieren kannst. So geht nichts vergessen.
Nutze außerdem verlässliche Informationsquellen (”In unserem Artikel Vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen bei Multipler Sklerose - worauf muss ich achten?” erfährst du, wie du vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen findest.) und den Austausch mit anderen MS-Betroffenen, um ein besseres Verständnis für die Krankheit zu entwickeln. Achte hierbei bitte auf deine Grenzen. Stellst du fest, dass sich dadurch Ängste und Sorgen verstärken, solltest du besser andere Informationsquellen nutzen.
“Ich glaube, meine größte Angst ist es irgendwann nicht mehr für mich sorgen zu können. Natürlich ist das eine Mutation aus mehreren großen und kleinen Ängsten. Zukunftsängste, die Angst vor platzenden Träumen, Enttäuschungen und und und und geben sich da die Hand.” (Elli)

Bewusst Leben für mehr Wohlbefinden

Ein gesunder Lebensstil kann einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf von MS haben. Das bedeutet, sich ausgewogen zu ernähren, ausreichend zu bewegen und genug Schlaf zu bekommen. Aber nicht nur die großen Lebensbereiche führen zu mehr Wohlbefinden, sondern es sind oft die kleinen Dinge, die uns dabei helfen bewusster zu leben.
Dankbarkeit ist eine wunderbare und kraftvolle Emotion, die dein Wohlbefinden auf vielfältige Weisen steigern kann. Sie hilft dir, den Fokus von den negativen Aspekten des Lebens auf die positiven zu lenken, indem du dich auf das Gute in deinem Leben konzentrierst, schaffst du eine optimistischere Perspektive.
Dankbarkeit kann zudem den Stresspegel senken und du fühlst dich weniger überwältigt und gestresst. Sie kann dein Selbstwertgefühl stärken und das Bewusstsein dafür, welch wundervollen Dinge du bereits in deinem Leben hast. Dankbarkeit ist eine mächtige Ressource, die dein Wohlbefinden steigern kann.
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Probiere es doch direkt einmal aus: Nimm dir eine Minute, schließe deine Augen und spüre, für welche drei Dinge du gerade dankbar bist. Schreibe sie auf und versuche dir täglich diese eine Minute Zeit zu nehmen, um Dankbarkeit zu üben und zu integrieren. Sei gespannt auf die positive Veränderung, die sich zeigen wird.

Wann können Ängste berechtigt sein?

Es ist schwer zu sagen, wann deine Sorgen und Ängste berechtigt sind, denn jeder Verlauf ist einzigartig und auch dein Empfinden von Angst und Sorgen. Dennoch solltest du deine Ängste ernst nehmen. Gerade, wenn sich plötzlich neue und schwerwiegende Symptome entwickeln, ist es wichtig, dies mit deinen Ärzt*innen zu besprechen. Diese Symptome könnten auf einen MS-Schub und eine eventuelle Verschlechterung des Krankheitsverlaufs hinweisen. Eine professionelle Einschätzung ist hierbei wichtig, um frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen und sogar die Behandlungsstrategie anzupassen.

Negative Veränderungen im täglichen Leben

Wenn deine MS-Symptome die Fähigkeit deine alltäglichen Aktivitäten auszuführen erheblich beeinträchtigen und deine Lebensqualität stark beeinflussen, kann dies ein Anlass zur Besorgnis sein. Auch hier solltest du unbedingt das Gespräch mit deinen Ärzt*innen suchen, um dich unterstützen und beraten zu lassen. Auch die Hilfe von nahestehenden Personen kann eine große Entlastung für den Alltag sein. Sprich auch hier offen über deine Einschränkungen und deine Sorgen.
“Ich habe Angst, irgendwann nicht mehr laufen zu können und mein Leben komplett umgestalten zu müssen bzw. nicht mit dieser krassen Veränderung klar zu kommen.” (Natalie)

Ängste werden nicht einfach verschwinden, aber wir können entscheiden, wie wir mit ihnen umgehen wollen.

Ich selbst kann nicht sagen, dass meine Ängste bezüglich eines schweren MS-Verlaufs komplett verschwunden sind, sie sind nur viel kleiner geworden. Ich habe gelernt, eine neue Perspektive einzunehmen und mich nicht in diese Ängste hineinzusteigern. Ein wichtiger Schritt war für mich zu erkennen, dass ich in den Situationen, in denen sich Ängste zeigten, nur noch in meinen Gedanken und meinem Kopf war. Ich konnte mich nicht mehr spüren und auch meine anderen Emotionen nicht mehr zulassen. Es war wichtig für mich zu erkennen, dass ich viel zu sehr im Kopf war, statt mit meinem Körper in Kontakt zu sein. Je mehr ich von meinem Körper getrennt war, desto stärker zeigten sich meine Symptome, wenn die Angst meine Gedanken übernahm. Sicher kennst du den Spruch: „Raus aus dem Kopf, rein in den Körper.“ Und hier liegt viel Wahres drinnen, denn mit diesem Kontakt konnte ich meine Symptome viel besser einschätzen.
Wie du in Situationen der Angst, wieder in Kontakt mit deinem Körper kommen kannst, zeige ich dir in unserem Reel auf Instagram: Zum Instagram Reel
Eine Übung davon teile ich sehr gerne mit dir, direkt zum Mitmachen.
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Übung gegen Ängste: Butterfly Hug 1. Setze dich aufrecht hin, lege deine Hände über Kreuz auf deinem Brustkorb ab. So, dass es sich für dich angenehm anfühlt. Die Finger liegen unterhalb des Schlüsselbeins. 2. Jetzt schließe die Augen und klopfe abwechselnd Links – Rechts auf deine Brust. Atme dabei tief durch die Nase ein und lange durch den Mund aus. 3. Variiere gerne in der Intensität deines Klopfens, so wie es sich für dich gut anfühlt. 4. Akzeptiere negative Gefühle und Emotionen. Versuche dich auf dich zu konzentrieren. 5. Mache die Übung so lange, bis du dich sicher fühlst und sich deine Gedanken beruhigt haben. Senke deine Arme und spüre noch einen Moment nach.

Meine Perspektive: Was kann ich tun, um mich sicher zu fühlen?

Wir spüren sehr oft die negativen Auswirkungen der Erkrankung und wie unsicher wir uns fühlen. Wir wissen genau, was uns belastet und gerade diese Ängste noch verstärkt. Was aber, wenn wir einmal die Perspektive wechseln? Versuchen herauszufinden, was uns Sicherheit gibt, was uns in solchen Momenten helfen würde, uns nicht von der Angst leiten zu lassen?
Vielleicht hast du Lust, dies einmal gemeinsam mit mir zu reflektieren? Nimm dir so gerne ein Blatt Papier und schreibe frei zu diesen Fragen – ohne groß nachzudenken. Es muss kein perfekter Text herauskommen, es ist wichtig die Gedanken einmal fließen zu lassen, auch wenn es erst einmal keinen Zusammenhang gibt.
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Deine Reflektionsfragen: 1. Welchen einen Schritt kann ich jetzt gehen, um mich wieder sicher zu fühlen? 2. Was braucht der Angst-Anteil in mir, um sich sicher zu fühlen? 3. Welche Unterstützung kann ich diesem Angst-Anteil geben, um die Situation durchzustehen / zu überwinden?
Danach kannst du die wichtigsten Essenzen zusammentragen und dir einen kleinen Handlungsplan erstellen für Zeiten, in denen sich die Angst wieder zeigt. Du kannst diese Übung immer wiederholen, wenn sich Ängste zeigen.

Gestalte deine Zukunft

Es ist so verständlich, Angst wegen eines schlechten MS-Verlauf zu haben, aber sie dürfen nicht dein Leben dominieren. Mit Hilfe von Wissen, offener Kommunikation, einem gesunden Lebensstil und der Unterstützung deiner Lieben kannst du es schaffen, deine Ängste zu bewältigen und die Kontrolle über dein Leben zu behalten. Wann diese Ängste berechtigt sind, hängt von deiner individuellen Situation ab. Es ist wichtig, auf deinen Körper und deine Symptome zu hören und regelmäßig mit deinen Ärzt*innen im Austausch zu sein, um die besten Entscheidungen für deine Gesundheit zu treffen.
Finde Freude und Erfüllung in deinem Leben, setzen dir Ziele und schütze deine psychische Gesundheit. Vertraue darauf, dass du die Fähigkeit hast, deine Zukunft zu gestalten und dass du Teil einer starken und unterstützenden Gemeinschaft bist.
 
notion image
von Julia Bierenfeld