Wie die Achtsamkeit ein Leben mit Multiple Sklerose positiv verändern kann

Veröffentlicht
Jan 4, 2024
Als ich im Jahr 2012 die MS-Diagnose erhielt, stürzte mein Leben plötzlich in eine Art Stillstand. Ich kämpfte gegen die Krankheit an, drückte sie weg und weigerte mich, sie anzuerkennen. Vier Jahre später wurden die MS-Schübe immer schlimmer und ich fühlte mich immer schlechter - körperlich und vor allem emotional.
Die Diagnose Multiple Sklerose (MS) kann das Leben auf den Kopf stellen und sowohl körperliche als auch emotionale Herausforderungen mit sich bringen. Als MS-erkrankte Person ist es daher wichtig, einen positiven Umgang mit der chronischen Erkrankung Multiple Sklerose zu finden und Strategien zu entwickeln, um die eigene mentale Gesundheit zu fördern. Eine Möglichkeit dies zu erreichen, ist die Praxis der Achtsamkeit.
Für viele Personen kann die neurologische MS-Erkrankung eine erhebliche Herausforderung in verschiedenen Lebensbereichen wie Arbeit, Studium, Lebensplanung etc. darstellen. Die unvorhersehbaren MS-Symptome von motorischen Einschränkungen bis zu kognitiven Beeinträchtigungen, können den Alltag und die Lebensqualität beeinträchtigen. Dabei geht jede Person mit Multiple Sklerose anders mit der chronischen Erkrankung um.
Dennoch ist eines für alle wichtig: In schwierigen Zeiten entscheidend zu wissen, was einer Person mit MS Halt gibt. Das kann Unterstützung durch Familie und Freunde, professionelle Hilfe oder die Entwicklung persönlicher Bewältigungsstrategien sein. Achtsamkeit und Selbstfürsorge spielen eine zentrale Rolle, um den psychischen Belastungen zu begegnen. Das Erlernen und Wissen von individuellen Bewältigungsstrategien sind von Bedeutung, um den Herausforderungen der chronischen Erkrankung MS erfolgreich zu begegnen.
Ich bin Alexandra, eine der Gastgeberinnen des Podcasts "aMOHr" von aMStart. Ich habe mich intensiv mit dem Thema Achtsamkeit bei MS auseinandergesetzt und teile meine Erfahrungen mit der MS-Community. In einer Solo-Folge vom aMOhr-Podcast berichte ich von meiner persönlichen Reise zur Achtsamkeit und wie diese mein Leben mit Multiple Sklerose positiv verändert hat.

Wie kann Achtsamkeit im Umgang mit MS helfen?

Die Bedeutung von Achtsamkeit ist facettenreich und vielschichtig. Bevor wir uns heute mit der Relevanz von Achtsamkeit im Leben von Personen mit Multiple Sklerose befassen, ist es wichtig, kurz zu skizzieren, was der Begriff überhaupt bedeutet.

Was ist Achtsamkeit?

"Achtsamkeit ist die Bewusstheit, die entsteht, wenn wir dem gegenwärtigen Moment bewusst Aufmerksamkeit schenken, nicht wertend und mit einer freundlichen Einstellung" - Jon Kabat-Zinn (Gründer des Center for Mindfulness in Medicine, Healthcare, and Society an der University of Massachusetts)
Achtsamkeit bedeutet also, im Hier und Jetzt präsent zu sein, ohne von Vergangenheit oder Zukunft abgelenkt zu werden. Somit ist Achtsamkeit eine wertfreie Haltung gegenüber allem, was ist und ein Zustand des “einfachen” Seins. Wenn wir uns, unserer Umwelt und dem Leben achtsam begegnen, schult dies zudem Geduld, Dankbarkeit und Akzeptanz.

Doch was bedeutet Achtsamkeit nun im Hinblick auf ein Leben mit Multiple Sklerose?

Wichtig: Achtsamkeit ist nicht damit zu verwechseln, die ganze Zeit positiv zu denken und alles, was im Leben ist, gut zu heißen. Es ist keine Praxis, die darauf abzielt, das Schlechte gegen das Gute im Leben auszutauschen. Vielmehr geht es darum, sich des aktuellen Moments bewusst zu sein und die Gedanken und Empfindungen wahrzunehmen, egal was gerade passiert.
Achtsamkeit kann für Personen mit Multiple Sklerose durchaus vorteilhaft sein. Chronische Erkrankungen wie MS können, wie eingangs erwähnt, mit verschiedenen Herausforderungen und Stressoren einhergehen. Achtsamkeits-Praktiken, wie zum Beispiel Meditation und Atemübungen, können dazu beitragen, Stress zu reduzieren, die emotionale Gesundheit zu fördern und die Lebensqualität zu verbessern.
Achtsamkeit, die auf Stressreduktion zielt, wurde bereits ausführlich erforscht. Die Forschungsbereiche erstrecken sich u.a. von der Bewältigung chronischer Schmerzen und Krankheiten bis zu psychischen Leiden.
Wirksamkeiten von diversen Achtsamkeitsübungen sind zum Beispiel:
  • Verbesserung der Konzentration und Förderung innerer Ruhe,
  • besseres Empfinden des Körper-Gewahrseins zur Förderung gesundheitsfördernder Verhaltensweisen,
  • achtsame und bewusste Wahrnehmung von Gedanken, Grübeleien und Ängsten, sowie
  • eine Veränderung im Umgang mit Gefühlen, insbesondere bei schwierigen Emotionen und
  • eine Verringerung von Müdigkeit und Depressionen.
Die Achtsamkeit lehrt uns, unsere Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten oder ihnen nachzugeben Dies ist besonders bei der Erkrankung Multiple Sklerose wichtig, da negative Gedanken und Stress die MS-Symptome verstärken können. Durch Achtsamkeit mit einer MS-Diagnose kann eine erkrankte Person lernen, die Gedanken und Gefühle zu beobachten und bewusst zu lenken. Achtsamkeit kann daher bei Personen mit Multiple Sklerose verschiedene positive Auswirkungen haben, insbesondere, wenn es um das Körper-Gewahrsein und Stress- und Emotionsregulation geht. Dazu kommt eine Verringerung von Müdigkeit, Angst und Depressionen. Sie kann auch dazu beitragen, den Umgang mit der MS-Diagnose, Schmerzen bei MS und anderen MS-Symptomen zu verbessern.
Es ist wichtig zu beachten, dass Achtsamkeit kein Heilmittel für MS ist, sondern eine unterstützende Maßnahme zur Bewältigung der mit der Erkrankung verbundenen Herausforderungen! Wenn eine Person mit MS also in einer herausfordernden Situation in einem Leben mit MS steckt, kann die Achtsamkeit eine unterstützende Maßnahme neben medizinischen oder psychotherapeutischen Maßnahmen sein.
Um von den möglichen Wirkungen, die Achtsamkeit mit sich bringen kann, zu profitieren, gibt es verschiedene Achtsamkeits-Praktiken. Ein gängiger Weg, Achtsamkeit zu praktizieren, ist Meditation.

Wie sich mein Umgang mit der MS-Diagnose durch Achtsamkeit positiv verändert hat

Im Jahr 2012 habe ich meine MS-Diagnose erhalten. Mein erster Implus war es, dagegen anzukämpfen und die Krankheit zu verdrängen. Doch im Jahr 2016 stieß ich an meine Grenzen, meine MS-Symptome verschlimmerten sich und ich fühlte mich körperlich und emotional immer schlechter. In dieser schwierigen Phase öffnete ich mich schließlich der Idee der Achtsamkeit und begann, mich mit meiner mentalen und emotionalen Gesundheit auseinanderzusetzen.
Anfangs hatte ich Vorbehalte gegenüber Achtsamkeit und Meditation. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie diese Praktiken mir helfen sollten. Doch im Laufe meiner eigenen Reise entdeckte ich die positiven Auswirkungen der Achtsamkeit auf meinen Körper und Geist.
Indem ich lernte, meine Gedanken bewusst wahrzunehmen und negative Bewertungen loszulassen, konnte ich einen neuen Zugang zu mir selbst, zu meinem Körper, meiner MS-Diagnose und meinen Gefühlen finden.
Eine Schlüsselerkenntnis für mich war die Bedeutung von Dankbarkeit und Wertschätzung für den eigenen Körper. Anstatt meine MS-Symptome abzulehnen oder zu bekämpfen, lernte ich, sie anzunehmen und mitfühlend mit mir selbst umzugehen. Diese veränderte Haltung führte dazu, dass ich weniger körperliche Einschränkungen hatte und mich mental und emotional besser fühlte.

Achtsamkeits-Tipps für den Alltag in einem Leben mit MS

Ich habe schon viele Erfahrungen mit der Achtsamkeit gemacht und bin seit zwei Jahren auch Meditationsleiterin. Heute stelle ich Dir einige Achtsamkeitsübungen für den Alltag mit MS vor.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren.
Atem-Meditation:
Bei dieser Übung konzentrierst du Dich für einige Minuten auf Deinen Atem. Suche Dir dazu möglichst einen ruhigen Ort, an dem Du für einige Minuten ungestört bist. Du kannst die Augen offen lassen, aber auch gerne schließen. Nimm nun wahr, wie der Atem bei jedem Einatmen durch die Nase einströmt und bei jedem Ausatmen wieder ausströmt. Dabei kannst Du Deine Aufmerksamkeit auch auf Deinen Bauch lenken und wahrnehmen, wie sich Dein Bauch bei der Einatmung hebt und bei der Ausatmung senkt. Übe, deine Atmung so wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten. Wenn Gedanken auftauchen, ist das völlig normal. Kehre mit Deinem Geist zu Deinem Atem zurück. Wie fühlt er sich an? Warm oder eher kühl?
Diese Übung kannst Du jederzeit und überall durchführen und kann Dir helfen, das Bewusstsein für den gegenwärtigen Moment zu schärfen. Auch wenn Du im Supermarkt an der Kasse stehst, kannst Du diese Übung machen, um Dich von äußeren Einflüssen zu distanzieren. Du kannst diese Übung aber auch regelmäßig in deine Morgenroutine einbauen.
Körper-Gewahrsein:
Das ist eine Achtsamkeits-Übung, bei der wir unseren ganzen Körper bewusst wahrnehmen und mögliche Spannungen erkennen können. Durch diese Übung kannst Du lernen, achtsam mit Deinem Körper umzugehen und Dich (noch) besser um ihn zu kümmern. Diese Übung kannst Du sowohl im Sitzen als auch im Stehen durchführen. Wähle einen Ort, an dem Du für ein paar Minuten ungestört bist. Wenn Du magst, schließe Deine Augen. Nimm wahr, wie Deine Füße den Boden berühren. Nimm die Körperempfindungen in Deinen Füßen, in den Unterschenkeln und in den Knien wahr. Bleibe 10 bis 15 Sekunden bei jedem Körperteil und gehe dann Stück für Stück nach oben, bis Du beim Oberkörper, den Armen, den Händen und schließlich beim Kopf bis zum Scheitel angelangt bist.
3x5:
Diese Übung kann Dir, egal wo Du Dich gerade befindest, dabei helfen, Dich auf den Moment zu konzentrieren und Deine Sinne zu schärfen.
Nimm Dir einen Moment Zeit und nimm bewusst…
  • 3 Dinge, die Du hörst,
  • 5 Dinge, die Du spürst,
  • 5 Dinge, die Du siehst, wahr.
Wenn Du Lust hast, dann lass uns diese Übung gemeinsam machen. In der Podcast-Folge leite ich Dich dazu an.
🎧
Die gesamte Podcast-Folge kannst Du Dir auf Google Podcast, Apple Podcast, Spotify, YouTube & Deezer anhören!
“Durch die Achtsamkeit wurde ich mir bewusst, wie meine Gedanken und Emotionen meine körperlichen Symptome beeinflussten. Ich begann, meine Gedanken bewusster wahrzunehmen und negative Gedankenmuster zu erkennen und zu verändern. Dadurch lernte ich, Krisensituationen besser zu bewältigen und mich weniger von ihnen beeinflussen zu lassen.”
Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass Achtsamkeit kein Allheilmittel ist und jeder Mensch verschiedene Ansätze und Methoden finden muss, die persönlich funktionieren. Dennoch sind die positiven Auswirkungen von Achtsamkeit auf die mentale und emotionale Gesundheit bei MS nicht zu unterschätzen.
Die Praxis der Achtsamkeit half mir dabei, negative Gedanken und Emotionen frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren. Ich entwickelte eine erhöhte Körperwahrnehmung und konnte feststellen, wenn es mir nicht gut ging. Statt mich von meinen negativen Gedanken mitreißen zu lassen, konnte ich bewusst eingreifen und eine positive Denkweise fördern.
Achtsamkeit kann Personen mit MS einen wertvollen Werkzeugkasten zur Förderung der mentalen Gesundheit und Bewältigung von Krisensituationen bieten. Es kann ermöglichen, die eigenen Gedankenmuster zu erkennen und gezielt zu verändern. Durch bewusstes Wahrnehmen und Annehmen der eigenen Gefühle kann die mentale Stabilität gestärkt werden.
💡
Mehr Tipps für einen Umgang mit der Diagnose Multiple Sklerose liest du in diesem Artikel: Wie Du mit der Ungewissheit vor dem Krankheitsverlauf umgehen kannst”
 
notion image
von Alexandra Leyer
 
Quellen:
https://meditopia.com/de/achtsamkeit/